Eröffnungsrede von Elfriede Jelinek

 

Frauenraum

Ich frage mich, wie es möglich ist, daß Personen immer noch für ihre Anliegen auf die Straße gehen müssen, demonstrieren müssen, Druck machen müssen, nur aufgrund ihres Seins, aufgrund der biologischen Tatsache, daß sie Frauen sind. Es flößt mir ein gewisses Entsetzen ein, daß wir für etwas vorbestimmt sein sollen, das uns zu Zurückgesetzten macht, die um alles und jedes kämpfen sollen, und das gerade in Zeiten, in denen die Not eigentlich darin besteht, daß keine besteht, wie die Philosophen sagen würden. Aber wieso sind gerade so viele Frauen von dieser Not betroffen, die es doch angeblich gar nicht gibt oder nicht geben sollte? Weil sie sind was sie sind und wofür sie nichts können? Es scheint aber auch nicht zu genügen, daß man an sich Frau ist, und auch nicht, daß man sie für etwas ist, einen Mann, ein Kind, einen Pflegebefohlenen, die Gesellschaft. Man muß immer noch etwas darüber hinaus drauf häufen, um da sein, sich artikulieren, auf seine Rechte pochen zu dürfen. Es ist, als ob man sich selbst für sich erkämpfen müßte, um überhaupt sein zu dürfen was man schon ist. Man darf ja offenbar nicht einmal in die eigene Haut hineinschlüpfen, auch darum soll man schon kämpfen müssen. Daß man ein Für Sich sein darf und nicht einfach nur an und für sich einfach existieren. Denn daß Frauen ein Für Anderes sein müssen, ist sowieso klar. Jetzt kämpfen sie also darum, daß sie etwas sagen dürfen, um den berühmten Raum für sie selbst, für sich allein. Schon Virginia Woolf hat dafür gekämpft, um einen sehr kleinen wenigstens, in dem die Frau etwas würde aufschreiben können. Tisch, Sessel, Lampe, mehr braucht man dazu ja nicht. Jetzt haben sie also ihren Raum, die Frauen, in dem sie reden oder schweigen dürfen oder was auch immer, es so ll ihnen ja überlassen sein, was sie damit machen, aber damit, daß ihnen dieser Raum gegeben ist, kann es ja nicht getan sein. Aber die Sache scheint damit bereits abgetan zu sein. Man braucht Frauen ja nur einen Raum zu übergeben, sie werden ihn dann, das haben sie ja geübt, schon besenrein machen, einrichten, herrichten, bis sie sich zugrundegerichtet haben werden. Das sind sie ja gewöhnt. Hier bitte ist dieser Raum, aber besser, er bleibt verborgen wie die Leistungen der Frau, die das Obszöne schlechthin sind, denn sie sind da, aber man sieht sie nicht, und man soll sie nicht sehen. Man soll nur ihre Ergebnisse sehen, nicht wie es zu ihnen gekommen ist. Sie tauchen im Bruttoinlandsprodukt eines Landes nicht auf, diese Arbeiten der Frauen. Sie, diese Leistungen, sind das, was verdeckt stattzufinden hat, so wie ja auch die Genitalien der Frau glücklicherweise verdeckt sind und nach innen führen, nicht repräsentationsfähig sind, auch nicht kunstfähig, wie Freud sagt, der nur das Flechten und das Weben als originär weibliche Kulturtechniken gelten lassen wollte, ja, das Flechten und das Weben, das ham sie uns gegeben. Das Schreiben und das Lesen, ist stets der Männer Fach gewesen. Da haben sich die Frauen also ihre Wiese, ihre Lichtung, freigesprengt, unter immensem Druck von Meisseln, Hämmern und Worten im öffentlichen Raum, der ihnen ja auch nie gehört hat, und den sie sich erst haben erkämpfen müssen, und dann lichtet sich erst mal gar nichts. Kein Vorhang kann hochgehen, nur der Hut kann einem hochgehen dabei, denn was den Frauen da gegeben worden ist, soll ihnen gleichzeitig vorenthalten werden, aber nicht damit es länger vorhält, im Gegenteil, sondern damit es gleichzeitig da ist und weg ist. Also das Offene bleibt sowieso verweigert, denn die Frau ist zu dem, was sich im öffentlichen Raum abspielt, nicht zugehörig, daher muß sie immer auf sich verweisen, indem sie dauernd an s ich selbst zurückverwiesen wird, vielleicht kann man sagen zurückgeworfen. Im Fall des Raums, den sie da bekommen und schon wieder beinahe genommen bekommen hat, wenn nicht ein Wunder geschieht, kann man auch sagen: hinausgeworfen, enteignet. Man läßt der Frau ihre mehr oder weniger schöne Erscheinung, je schöner, desto erwünschter, denn die kann man auf die Seiten fünf bis sieben drucken, aber man läßt sie sonst nicht und nirgends erscheinen. Aber damit nimmt man ihr auch die meisten Entscheidungsmöglichkeiten. Man verspricht ihr Kinderschecks oder Karenzgeld, damit sie sich für Kinder entscheidet, man verspricht ihr Räume, damit sie sich für sich selbst entscheiden kann oder für beides, aber gleichzeitig enteignet man sie um alles. So, ein ganzer Raum wäre jetzt da, bitteschön, aber anfangen werden sie nichts damit können, denn die Menschen, ganz besonders die Frauen, brauchen Bewachung, etwas, das die Macht überhaupt nicht brauchen kann. Die Macht spendet Bewachung, und am besten bewacht kann man zu Hause werden, dort kann man sich selbst bewachen, wenn der Mann keine Zeit dafür hat, und es hat den Vorteil, daß die Kinder auch gleich mit unter Aufsicht stehen. So muß man gar nicht mehr aus dem Haus, man hat alles unter Dach und Fach. Die andren Fächer sind alle schon belegt. Sie können sie ja ausräumen, liebe Frau, Sie können gern Ordnung machen in den Schubladen, aber keine ist für Sie bestimmt. Andere werden sich dort ablegen, das heißt aufbewahren, am liebsten für die Ewigkeit. Was Sie anzubieten haben, ist es ja gar nicht wert, aufgehoben zu werden, gezeigt, beurteilt, diskutiert. Die Stöße und Tritte, die die Frauen erhalten, wenn sie an die Öffentlichkeit wollen, die sollen noch keine Erschütterung sein, die sollen nur ein sanftes Wiegen sein. Gewogen und für zu leicht befunden. Die Erschütterungen sind fü r das Nahen der Großen reserviert, für die man als Frau den Teppich absaugen sollte, rechtzeitig, bevor sie kommen, unsere stadtbekannten Größen. Wenn die Frauen selber kommen wollen, dann sollen sie dabei zumindest ruhig sein. Das ist das beste. Wenn sie etwas zu sagen haben, dann nennt man das tratschen oder plaudern. Aber ein Sagen soll es nicht sein. Plaudern kann man auch zu Hause, am hübsch gedeckten Kaffeetisch, oder am Rande eines Kinderspielplatzes. Frauen sind Frauen, das ist eine unumstößliche tautologische Wahrheit. Sie müssen es sich nicht erstreiten, daß sie sie selber sein dürfen, im Gegenteil, sie dürfen nichts anderes als sie selber sein. Aber dieses Sein ist gleichzeitig eine Enteignung um sich selbst, eine Verweigerung, und zwar nicht nur eine um Geld, um Räume, um Möglichkeiten aufzutreten, sondern die Verweigerung von allem, was über dieses bloße Sein hinausgehen könnte. Es kommt mir so vor, als müßten die Frauen sogar, immer und immer wieder, ihre eigene Enteignung erstreiten, die immerhin auch ein Ereignis ist, wenn auch ein negatives, denn sie müssen sich ja erstreiten, als Frauen überhaupt ihrer selbst gewiß sein zu dürfen, und sie müssen sich dann erstreiten, irgendwo dazugehören zu dürfen, ein Irgendwo, das, und das ist das Äußerste, auch nicht viel mehr als ihre eigene Existenz als Frau ist. Und sogar das darf, wenn überhaupt, nur lautlos geschehen, in der Negativität der endlosen Schmutzentfernung, Kinderscheißeentfernung, Greisenscheißeentfernung, Krankenscheißeentfernung. Indem die Frauen etwas wegmachen, dürfen sie endlich ganz da sein, aber als sie selber dürfen sie schon nicht mehr da sein. Denn irgendetwas Wahres kann ja nicht in ihnen verwahrt sein, höchstens Staubsäcke dürfen in ihnen verwahrt werden, und sogar dafür haben sie den Staubsauger, der macht das selber , man muß den Sack nur hineintun und das Gerät einschalten. Ich weiß nicht, wofür man nach all diesen Jahren noch kämpfen könnte, vielleicht ist da niemand, dieser Niemand aus der Fernsehwerbung, natürlich aus Kindermund, mit dem für Arme und Schwache gesammelt wird, was natürlich gut und richtig ist. Mit gutem Gewissen kann ich antworten: Wir sind viele, wir sind die meisten, aber da ist niemand, genau der sind wir. Das Dazwischen, das nichts und niemand ist, weil es in diesem Zwischenbereich keine abgegrenzten Zugehörigkeiten mehr gibt, und wenn, dann muß man sie sich endlos erstreiten. Und glaubt man einmal, sich ein Stück Schatten samt Zwischenreich erkämpft zu haben, ist es plötzlich wieder weg. Es hat eine Gründung von einem Frauenraum stattgefunden, aber das hat nichts begründet, und man kann es den Frauen auch wieder nehmen, was sie da bekommen haben oder noch gar nicht wirklich bekommen haben, ohne Begründung. Zuerst zeigt man es ihnen, dann nimmt man es ihnen wieder weg. Vom Nichts ins Nichts. Von nichts kommt nichts. Aber wenn man jahrelang um etwas kämpft, glaubt, es endlich zu haben, und dann hat man es doch wieder nicht, das ist schlimmer als nichts zu haben. Das ist, als ob man sich selber ständig aufbrauchen würde, wie ein Feuer, das sich selbst verzehrt und dann zusammenfällt, weil es keine Nahrung mehr bekommt auf diesem sauberen Fußboden.

Frauenraum © 2000 Elfriede Jelinek

 

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